Die Facetten der Trauer

Was bedeutet Trauer?

Wir befinden uns im freien Fall, von heute auf morgen stellen wir alles in Frage. Nichts ist mehr wie vorher, die Welt hat sich verändert – Für viele Menschen fühlt sich Trauer etwa so an.  

Egal wie plötzlich der Verlust sein mag, unsere Trauer geht meist mit einer großen Sehnsucht einher. Dabei muss es nicht zwingend ein Todesfall sein, wir können auch um eine verlorene Liebe oder um einen verlorenen Gegenstand trauern. Weil der Tod eines Menschen besonders häufig mit starker Trauer verbunden ist, konzentrieren wir uns im Folgenden vermehrt auf diesen Verlust. Allgemein sprechen wir aber von Trauer, wenn wir eine Trennung von etwas bewältigen müssen, das uns im Alltag sehr nahe stand. Entsprechend starke Emotionen sind mit dem Prozess des Trauerns verbunden.

Jeder Mensch erlebt Trauer anders, deshalb kann keine pauschale Definition über einen Trauerprozess erfolgen. In den vergangenen Jahren wurden zwar einige Trauermodelle angefertigt, z.B.  die fünf Phasen des Sterbens von Elisabeth Kübler-Ross (1969) oder der  Trauerprozess in vier Phasen nach Verena Knast (1982), jedoch verstehen sich diese Modelle eher als theoretische Hilfe für Trauernde und nicht als Kategorisierung. Trauernde können anhand mancher Modelle die unterschiedlichen Phasen der Trauer besser einordnen und verstehen. So fällt es dem ein oder anderen möglicherweise leichter, mit dem Trauerprozess umzugehen.

Dabei ist Trauer meist nicht nur ein Gefühl und kann verschiedene Symptome hervorrufen, wie zum Beispiel:

Körperliche Symptome bei Trauer: 

  • Schlafprobleme
  • Appetitlosigkeit
  • Erschöpfung
  • Kopfschmerzen 

 Psychische Symptome bei Trauer:

  • Schuldgefühle
  • Aggressives Verhalten
  • Ängste
  • Konzentrationsprobleme
  • ständiges Grübeln

Die vier Trauerphasen

Wenn du deinen Trauerprozess und deinen Umgang mit Trauer besser verstehen willst, lohnt sich ein Blick auf die vier Trauerphasen nach dem Modell der Schweizer Psychologin Verena Knast. Anhand der verschiedenen Phasen lernst du deine eigene Trauer besser kennen und kannst mögliche Umgangsformen entwickeln. Wichtig hierbei ist, dass auch diese Phasen „nur“ einem theoretischen Modell entspringen. Das sagt nichts über deine persönliche Trauer aus, oder was richtig und was falsch ist. Die Einordnung in vier Phasen ist eher als Unterstützung für deinen Trauerprozess gedacht. Wichtig ist auch zu betonen, dass die 4 Phasen nicht in einer bestimmten zeitlichen Reihenfolge abzulaufen haben. Vielmehr wechseln sich die Phasen immer wieder ab, man geht sozusagen „in die nächste Runde“. Ebenso kann man mit ein paar Merkmalen in der einen Phase und zeitgleich mit anderen Merkmalen in einer anderen Phase stecken. Jeder trauernde Mensch hat hier seinen eigenen, individuellen Weg.

1. Phase: Nicht-Wahrhaben-Wollen 

In der ersten Trauerphase stehen wir unter Schock. Wir wollen den Verlust nicht wahrhaben, manche verleugnen ihn sogar. Den Tod eines geliebten Menschen können wir erst einmal gar nicht begreifen. Es fühlt sich unreal und komisch an, zu wissen, dass diese Person nicht mehr da ist. Die Verleugnung dient dabei zunächst als Selbstschutz. Wie lange die erste Trauerphase dauert, kann nicht festgelegt werden. Sie kann sich über ein paar Stunden oder über mehrere Tage / Wochen erstrecken. Eine Faustformel könnte so aussehen: Je plötzlicher der Verlust ist, desto länger dauert das „Nicht-Wahrhaben-Wollen“.

2. Phase: Aufbrechende Emotionen

In dieser Phase werden wir mit vielen Gefühlen konfrontiert, die Trauer in uns auslöst. Wie bereits erwähnt, ist die Trauer nicht EIN Gefühl, sondern viele. Dazu gehören zum Beispiel Wut, Zorn, Angstgefühle, Schuldgefühle, aber auch Freude, wenn wir schöne Momente erleben.  Wie die Metapher der „Achterbahnfahrt“ verdeutlicht, brechen diese Emotionen über uns herein. Sie können gleichzeitig oder kurz hintereinander auftreten.

Wichtig zu wissen: Dieses „Durcheinander“ ist völlig normal und gehört zum Trauerprozess dazu. Wenn wir unsere Gefühle zulassen, beginnen wir mit der Verarbeitung unserer Trauer. Das ist gerade in der heutigen Zeit nicht immer leicht, schließlich wollen wir nach außen hin meistens perfekt und unnahbar wirken. In unserer Gesellschaft liegt ein hohes Maß an Selbstbeherrschung, auszubrechen ist oft schwerer als gedacht. Gerade im Trauerprozess und für die Bewältigung der zweiten Phase ist genau DAS wichtig: Wir müssen unsere Gefühle zulassen und spüren.

Dem einen hilft dabei ein Gespräch, der andere will sich mit seinen Emotionen lieber alleine auseinander setzen. Hier gibt es kein richtig oder falsch! Wichtig ist, dass du dich wohl damit fühlst. Auch hier kann ein Trauerbegleiter oder der Austausch mit anderen Trauernden helfen.

3. Phase: Suchen und Sich-Trennen 

In Phase 3 setzen wir uns intensiv mit dem Tod des Angehörigen auseinander. Oft werden zum Beispiel Räume des Verstorbenen aufgesucht, in denen er sich zu Lebzeiten aufgehalten hat. Manchmal suchen wir auch Orte auf, an denen wir uns an gemeinsame Erlebnisse mit dem Verstorbenen erinnern. Hier können wir mit dem Toten sprechen, ihm Nahe sein. Dabei werden wir aber auch immer wieder mit der Wirklichkeit und der aktuellen Situation konfrontiert: Vieles hat sich verändert, mein Leben geht weiter.

In besonderen Fällen will der Hinterbliebene, dass sich gar nichts ändert und dass alles so bleibt, wie es ist. Das krampfhafte Festklammern an die Vergangenheit drängt den Hinterbliebenen mehr und mehr aus seinem eigenen Weiterleben. Eine Therapie kann dabei helfen, die Vergangenheit loszulassen, ohne den Verstorbenen zu „verlieren“. Wenn wir mit dem Verstorbenen sprechen, geht das nur tief in unserem Inneren. Es ist sozusagen ein innerer Dialog, der die verstorbene Person in uns hineinträgt. Durch das Zulassen dieses Dialogs, können wir uns langsam auf die vierte und letzte Phase vorbereiten.

4. Phase: Neuer Selbst- und Weltbezug 

Mit der abschließenden Phase finden Trauernde ihren inneren Frieden. Der Verlust eines Menschen beziehungsweise sein Ableben wird akzeptiert. Indem der Trauernde den Verstorbenen „in sich aufgenommen hat“, beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Neue Beziehungen und Lebensmöglichkeiten offenbaren sich, dabei bleibt der Verstorbene stets ein wichtiger Teil im Leben des Hinterbliebenen. Die Erinnerungen an ihn leben weiter, aber der Trauernde weiß auch, dass sein eigenes Leben weitergeht.

Duales Trauermodell zur Trauerbewältigung

Ein aktuelleres Trauermodell als die vier Phasen von Verena Knast, bieten die beiden Wissenschaftler Margaret Stroebe und Henk Schut. In ihrem „Dualen Prozessmodell“ steht die Dynamik der Trauer im Fokus, diese besteht aus Konfrontation und Verdrängung. Im Trauerfall verlieren wir nicht nur einen Menschen, sondern auch wichtige Ressourcen für unser alltägliches Leben, z.B. das Gefühl von Sicherheit. Trauer verursacht also zwei unterschiedliche Stressoren:

  1. Stress durch den Verlust eines Menschen
  2. Stress aufgrund der nötigen Wiederherstellung des Alltags

Nach dem „Dualen Prozessmodell“ können sich Trauernde immer nur einem Pol zuwenden. Das bedeutet, dass der andere Pol zwangsläufig verdrängt werden muss. Kurz gesagt: Trauernde setzen sich entweder mit dem Tod eines Menschen auseinander, oder sie beschäftigen sich mit „wiederherstellenden“ Maßnahmen, z.B. ihrer finanziellen Situation oder sozialer Einsamkeit.

Letztere sind von großer Bedeutung, damit das eigene Leben weitergehen kann. Eine Verdrängung des Verlusts ist, nach Stroebe und Schut, nicht negativ, sondern für den Trauerprozess enorm wichtig. Das „Springen“ vom einen zum anderen Pol bedeutet, wir können uns eine kurze Erholung von der jeweils anderen Seite gönnen. Gerade, weil jeder Pol mit unterschiedlichen Emotionen verbunden ist, kann uns eine Pause guttun. 

Eine dauerhafte Konfrontation mit dem Tod eines Menschen würde unser eigenes Weiterleben massiv einschränken. In der Trauerbegleitung kann das „Duale Prozessmodell“ dabei helfen, dem Trauernden neue Perspektiven aufzuzeigen. Die Erklärung, dass eine Verdrängung normal, sogar wichtig im Trauerprozess ist, kann erleichternd wirken. Oft fühlen sich Trauernde schuldig, weil sie nicht ständig mit den Gedanken beim Verstorbenen sind. Dabei können positive Gefühle gerade MIT der Verdrängung einhergehen. Wie oft der Trauernde zwischen den zwei Polen „springt“, hängt von vielen Faktoren ab. Manche Menschen tun sich leichter damit, sich auf die „wiederherstellenden“ Maßnahmen zu konzentrieren. Andere geben sich länger dem Verlust hin. Wie bei jedem Trauermodell gilt auch hier: Es gibt keine allgemeine Grundlage, nach der ein Mensch trauert. Trauermodelle helfen bei der Reflexion und können die eigene Perspektive erweitern. 

Fazit: Nach Strobe und Schut findet ein Trauerprozess nicht durchgängig in uns statt, sondern wir erleben diesen in kurzen, intensiven Phasen. Einen dauerhaften Trauerschmerz würde wohl kaum jemand aushalten. Gerade bei Kindern lässt sich dieses Modell gut beobachten, sie trauern meist phasenweise. 

Hilfe bei Trauer 

Oft ist es für Außenstehende schwer, einer trauernden Person zur Seite zu stehen. Es fehlen die richtigen Worte oder die richtigen Taten. Während der eine seinen Trauerprozess alleine durchstehen will und den Kontakt zu anderen Menschen weitgehend reduziert, kann ein anderer überhaupt nicht mehr alleine sein. Für Freunde und Familie ist es oft nicht leicht, einen guten Mittelweg zu finden, sodass sich der Trauernde unterstützt aber nicht bedrängt fühlt. Hier einige Tipps zur Unterstützung:

  • Die Wünsche des Trauernden respektieren
  • Zuhören und Mitgefühl zeigen
  • Nicht zum Reden zwingen
  • Nicht über eigene Trauererfahrungen sprechen (Trauer erlebt jeder von uns individuell)
  • Der trauernden Person im Alltag helfen, sodass dieser sich voll und ganz auf den Trauerprozess einlassen kann (z.B. Einkäufe erledigen, auf die Kinder aufpassen, im Haushalt helfen)
  • Einen Trauerbegleiter zur Unterstützung kontaktieren 

Das Beste, was wir für einen trauernden Menschen tun können, ist, für ihn da zu sein. Egal, ob die Person mit ihrer Trauer alleine sein will, oder das Gespräch sucht. Als Außenstehender sollte man Verständnis für die Situation des Trauernden haben und sich nicht verletzt fühlen, wenn man abgewiesen wird. Gerade in der Anfangsphase des Trauerprozesses muss der Trauernde sich seiner Gefühle selbst bewusst werden. Was Außenstehende dabei tun können, begrenzt sich auf kleine Gesten. Arbeitgeber können zum Beispiel mehrere Urlaubstage gewähren, Freunde und Verwandte sollten sich immer wieder nach dem Befinden des Trauernden erkunden.